Er nimmt in meinem Leben viel Raum ein und bleibt mir doch in Gänze verborgen. Er ist wie ein gut gehütetes Geheimnis, das ich nicht zu lüften vermag. Doch nicht eines von der schönen und geheimnisvollen, sondern eher von der dunklen, unberechenbaren Sorte.
Mein körperlicher Schmerz ist ein Geheimnis, das vielen Menschen komplett verborgen bleibt und inzwischen kann ich mich für diese Menschen freuen, weil sie um ein Geheimnis ärmer sind als ich.
Er ist wie der DFB-Pokal. Der hat auch seine eigenen Gesetze.
Und nun sitze ich hier mit dem Geheimnis des Schmerzes. Er lässt sich weder entschlüsseln, noch entzaubern oder decodieren. Er folgt keinem Ehrenkodex. Er ist wie der DFB-Pokal im Fußball. Der hat auch seine eigenen Gesetze.
Wer bin ich, dass ich mir anmaße, das Geheimnis des Schmerzes lüften zu wollen. Ich bin nichts. Ich bin niemand. Und doch gehöre ich zur Gruppe der Menschen, die dem Geheimnis so viel näher kommen als viele andere. Als die Gesunden. Als die Schmerzfreien.
Der Schmerz hat Macht über die Menschen. Über ihr Leben. Über ihre Gedanken. Und vor allem über ihre Gefühle.
Der Schmerz ummantelt alles mit einem düsteren Rauch, der sich nicht lichten lässt. Der Schmerz ist schwer und manchmal zugleich flüchtig. Wie der Hauch einer Zigarette, der durch die Straßen weht, ohne dass der Mensch mit der Zigarette noch zu finden wäre.
Als Betroffene kann man dem Schmerz nicht ausschließlich mit dem Verstand begegnen und es ist noch gefährlicher, sich ihm auf der reinen Gefühlsebene zu nähern. Er verschlingt alle Gefühle, nur um sie kurz darauf um ein Vielfaches potenziert auszuspeien, wie ein junger Drache, der sein Feuer, seine Kraft nicht unter Kontrolle hat.
Der Schmerz ist grausam, brennt wie Feuer, lässt Dich leiden und umgibt Dich mit einer Ohnmacht, die durch nichts durchbrochen werden kann. Außer durch die Konfrontation. Du kannst Dich Deinem Schmerz widmen, ohne Dich in ihm zu verlieren. Du kannst ihn klein halten, ohne ihn zu kontrollieren. Man darf nie zu viel wollen. Es ist ein schmaler Grat, eine Klippe auf der ich tänzelnd balanciere. Manchmal blind, dann wieder mit weit aufgerissenen Augen. An guten Tagen blicke ich lächelnd in das tiefe Blau des Meeres hinab, das am Fuße der Klippe auf mich wartet. Während an anderen Tagen das Blau dunkel wie ein tiefer Schlund unter mir liegt, mich hinabziehen möchte mit seinem übelriechenden Atem – wie ein Seeungeheuer. Und ich bin mir sicher, dass ich es bin, die die Farbe des Meeres bestimmt, die den Umgang mit dem Schmerz beeinflussen kann, jedoch niemals den ganzen Schmerz selbst. Das ist paradox, doch anders ist es nicht zu beschreiben. Nur wer diese chronischen Schmerzen fühlt, kann diese Zeilen vielleicht verstehen. Und schon in dem einen Moment, in dem die Schmerzen schwächer werden oder für einen besonders glücklichen Menschen ganz verschwinden, ist man schon wieder so weit von dem Schmerzgefühl entfernt, wie nur möglich.
Der Schmerz ist ein Teil von mir. Doch ich bin nicht mein Schmerz.
Das ist das Schöne an dem Schmerz. Man neigt dazu, ihn zu vergessen. Und manchmal kann ich mich nicht einmal mehr daran erinnern, wie sich mein Leben ohne Schmerz angefühlt hat. Ist das nicht verrückt? Dabei habe ja eine schmerzfreie Körperhälfte, aber die Wahrnehmung der linken Seite ist durch die rechte Seite so sehr beeinflusst, dass ich was Schmerzgefühle angeht, mir gar nicht sicher bin, ob ich recht und links wirklich trenne.
Der Schmerz ist ein Teil von mir. Doch ich bin nicht mein Schmerz.
Ich bewahre Dein Geheimnis, weil es Vielen verborgen bleiben wird, doch verschließe es nicht in meinem Herzen. Meine Seele brennt dafür, über Dich zu schreiben. Und zugleich wird Dein Geheimnis immer gut behütet bleiben. Weil jeder Schmerz anders ist. Weil jeder Mensch anders fühlt. Weil jeder Mensch anders damit umgeht. Mein Schmerz ist nicht Dein Schmerz. Und somit ist mein Geheimnis nicht Deines.
Der Schmerz und ich. Wir haben ein Geheimnis.
Und obwohl ich es gerne teilen würde,
vermag ich es nicht.
Denn ich weiß, dass jeder Buchstabe, jede Silbe, jedes Wort,
Dir nicht gerecht wird.
Weil jedes Wort einer Bedeutung unterliegt,
die nicht mit Schmerzen auszudrücken ist.
Und vielleicht liegt hinter dieser Bedeutung
der Schutz des Einzelnen.
Denn wo kämen wir hin,
wenn Du anhand meiner Worte
meine Schmerzen spüren könntest.
Ich bin tief beeindruckt über das Geschriebene. Einmal ist es die Art und Weise wie einfühlsam und klar Du beschreibst. Darüber hinaus kann ich vielleicht etwas besser erahnen, wie es Dir an manchen Tagen geht.
Danke, dass Du Dir die Zeit genommen hast, den Text zu lesen. Und danke für Dein Feedback! Es macht mich sehr glücklich, wenn ich ein bißchen Licht ins Dunkel bringen kann…