Der klebrige Film auf der Tischplatte ist das erste, was mir auffällt. Keine Lasur, mehr ein Rest des Lebens, das hier ein- und ausgeht. Ich würde gerne schreiben, dass im Hintergrund Musik läuft, doch das wäre gelogen. Sie spielt sich in den Vordergrund. Coldplay. Mit italienischen Werbeunterbrechungen. Die Tür zur Bar steht offen und es zieht. Mein Blick fällt von innen nach außen auf eine rote, verschossene Markise, die durch einzelne Windstöße immer wieder in Bewegung gerät. Dahinter liegt die Lagune mit ihrem dunkelgrünen Wasser. Das Rot der Markise setzt sich ab von der rötlich-blassen Backsteinmauer, die ein Stück weiter hinten den Kanal begrenzt. Graue, schräg aufragende Holzpfähle säumen den Weg des Wassers. Und genau dort, wo die Spitze des Holzpfahls die Steinwand berührt, wächst wildes Grün inmitten der Steine. Inmitten der Stadt. Wie eine kleine Pfahlkrone.
„Von drinnen nach draußen. Wie der Blick auf ein Gemälde.“
Der morsche, dunkle Holzrahmen der Tür begrenzt mein Bild. Ein Ausschnitt von drinnen nach draussen. Wie der Blick auf ein Gemälde.
Die dunkelgrünen und hellen Planen der schaukelnden Boote verdecken ihren Rumpf nur zum Teil. Die Namen der Boote sind nicht zu lesen. Der Bildausschnitt ist zu schmal. Das Trottoir zwischen der Tür des Bistros und der Lagune ruht in mächtigen groben Steinen, die sich glänzend von den verwaisten Holzstühlen und hölzernen Tischchen abheben. Von draussen weht leiser Zigarettenrauch hinein. Die Bedienung steht außen am Türrahmen und scheint mit jemanden zu sprechen, der sich ausserhalb des Bildausschnitts befindet. In kurzen hektischen Bewegungen hebt und senkt der junge Mann mit der roten Schürze den Arm, nimmt einen schnellen Zug und gestikuliert. Er nickt und zeigt auf etwas in der Umgebung, das mir verborgen bleibt. Weil ich innen sitze. Weil ich nur von innen nach außen schaue. Das Licht, das durch den Türausschnitt fällt, verändert sich. Es wird dunkler, wenn jemand die Bar betritt und heller, wenn der Ausgang frei ist. Wie Licht und Schatten. Ohne Sonne. Denn der Himmel ist trüb. Zumindest die Ausschnitte, die neben der Markise erkennbar sind.
Die männliche Stimme einer italienischen Werbung plärrt mit schnellen Worten durch den Raum. Dann wieder Coldplay. „Its a beautiful day“. Hinter der Theke wird es hektisch. Eiswürfel klirren geräuschvoll an Glaswänden, die Musik wird leiser. Peroni! Die rote Schrift der Bierwerbung über der Tür scheint mich anzuschreien, genau in dem Moment als die Musik leiser wird. „Touch me. Take me to that other place.“ Plötzlich muss Coldplay Queen weichen. „Don´t stop me now.“
Ein Sechserstisch ist besetzt. Zwei Italiener mit wuchtigen Schals diskutieren. Vielleicht unterhalten sie sich auch ganz normal. Einzelne Wortfetzen sind aufzunehmen, jedoch nicht verständlich. Die Bedienung mit der roten Schürze wirft draussen die Zigarette auf die Steine und nimmt im Türrahmen mehr und mehr Gestalt an, betritt das Bistro, stellt sich an den Sechsertisch.
Sting bahnt sich einen Weg an mein Ohr. „Every breath you take“ – während mein Blick auf die Schiefertafel mit den Speisen und Getränken fällt, die in weißer Kreide angeschlagen sind. Daneben ein kleines quadratisches Schild mit der Aufschrift Barcelona. Las Ramblas. Mitten in Venedig.