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5:00 Uhr. Der Wecker klingelt und Du springst ausgeschlafen, gut gelaunt, voller Tatendrang und fit aus dem Bett. Katzenwäsche im Bad. Du schlüpfst in Deine Sportklamotten, schnürst die Joggingschuhe und sprintest los.
Kennst Du nicht? Kann ich gut verstehen!
Immer wieder begegnet mir der Mythos Morgenroutine. Immer wieder lese und höre ich, was ich nach dem Aufstehen alles machen soll, damit der Start in den Tag perfekt ist. Das bezieht sich nicht nur auf die Bewegung, sondern auch auf die Gesichtspflege, die Ernährung, das vielgelobte „Mindset“, Affirmationen mit denen Du in den Tag startest und so weiter. Ich könnte die Liste beliebig fortsetzen. Aber ganz ehrlich: Ihr könnt ja mal meinen Chefs erklären, warum ich erst mittags zur Arbeit erscheine. „Sorry, Chef. Hatte noch Morgenroutine.“
Vielleicht gehörst Du zu den Menschen, die eine Morgenroutine haben. Die jeden Morgen wie ein Uhrwerk funktionieren. Routinen können etwas Tolles sein. Sie geben Dir eine Struktur und fast automatisch führst Du jeden Tag das aus, was Du Dir irgendwann einmal vorgenommen hast. Und am Ende Deiner Morgenroutine spürst Du, dass Dir die Bewegung, das Meditieren oder was immer Du tust, Energie für Deinen Tag schenkt. Routinen sorgen dafür, dass Du nicht erst nachdenken musst, bevor Deine Gedanken zu einer Handlung werden. Du machst es einfach. Das Uhrwerk funktioniert.
Wann hast Du das letzte Mal Deine Routinen hinterfragt?
Doch gibt es auch Momente, in denen Du Dich nach Deiner Routine müde und ausgelaugt fühlst und am liebsten wieder ins Bett kriechen würdest?
Ich bewundere Menschen, die eine Morgenroutine und vielleicht sogar eine Abendroutine haben. Beides kann Dich weiterbringen. Aber ganz ehrlich: Routinen können auch einengen, gegen Deine heutige Tagesform ankämpfen, so dass Du über Deine physischen und psychischen Grenzen hinausgehst. Es geht für mich nicht um Leistung, sondern um die Frage: Was tut mir heute gut? Was brauche ich heute?
Innerer Schweinehund vs. Tagesform
Natürlich gibt es den inneren Schweinehund, der Dich morgens gerne noch einmal mit Deiner warmen Bettdecke und Deinem wohligen Schlafgeruch umhüllt, damit Du Dich entspannt auf die Seite drehen und noch einmal ins Land der Träume wandern darfst. Der Dir sanft zuflüstert, dass morgen auch noch ein Tag ist. Er findet 1.000 Gründe, warum Du liegen bleiben musst und darfst. Es ist nicht so leicht, zwischen der Stimme Deines inneren Schweinehundes und Deiner „Tagesformstimme“ zu unterscheiden.
Lange Zeit habe ich Dinge getan, weil ich dachte, sie müssten eben gemacht werden. Immer und immer wieder habe ich dabei nicht auf mein Körpergefühl geachtet. Auf die innere Stimme, die ruft: Ich kann nicht mehr. Wenn sich die „Tagesformstimme“ meldete, war in Sekundenbruchteilen auch meine kritische innere Stimme am Start, die mahnend schrie oder fast brüllte, wie faul ich wäre, dass ich doch „mal eben“ noch das ein oder andere erledigen könnte. Stell Dich nicht so an! Andere schaffen das auch!
Nach jedem Joggen hatte ich wahnsinnige Kopfschmerzen. Ein sicheres Zeichen dafür, dass ich über meine Grenzen hinausgegangen war. Doch ich habe diese Zeichen schlichtweg ignoriert.
Spätestens seit und durch meine Erkrankung habe ich lernen müssen und dürfen, dass ich mich jeden Tag anders fühle. Dass ich nicht jeden Tag das gleiche Leistungsniveau habe. Dass meine Form von so vielen unterschiedlichen Faktoren abhängt, die ich nur bedingt beeinflussen kann. Dass es nicht jeden Tag eine Routine braucht. Dass ich immer wieder neu herausfinde und austeste, was ich in diesem Moment brauche. Schlaf ist noch wichtiger geworden. Und so kommt es vor, dass ich meinen Wecker morgens noch eine halbe Stunde weiter stelle, damit ich 30 Minuten mehr Schlaf bekomme. Manchmal besteht meine Morgenroutine ausschließlich aus Duschen, Zähne putzen und dem Geruch von schwarzem Tee. Und das ist völlig okay so.
Und an den Tagen, an denen ich voller Tatendrang aufwache, darf es die Joggingrunde sein oder die Yogamatte, die mich dann lautstark für Sonnengrüße ruft. Das ist keine Routine. Das ist eine Frage meiner persönlichen Tagesform.
Wann hast Du das letzte Mal auf Deine Körperstimme gehört?